Wenn Rehe im Mai und Juni ihre Jungen auf die Welt bringen, verstecken diese sich in den ersten Lebenstagen im hohen Gras. Aufgrund ihres angeborenen Drückreflexes reagieren sie auf Bedrohungen, indem sie sich völlig bewegungslos auf den Erdboden drücken. Diese jahrtausendelang bewährte Strategie schützt sie hervorragend vor Raubtieren, nicht jedoch vor den rotierenden Messern eines herannahenden Mähwerkes. Da die im hohen Gras perfekt getarnten Tiere für den Landwirt bzw. Lohnunternehmer nicht zu erkennen sind, verenden jedes Jahr unzählige Rehkitze während der Mahd.
Um diesem qualvollem Sterben ein Ende zu setzen, entstand 2018 innerhalb einer Technik-AG das Schülerprojekt „Save the Kitz“. Schülerinnen und Schüler des Engelbert-Kaempfer-Gymnasiums in Lemgo entwickeln und bauen bis heute Drohnen mit Wärmebildkameras. Dies geschieht im Erfahrungsraum.MINT und mit finanzieller Unterstützung des zdi-Zentrums Lippe.MINT. Mithilfe der Drohnen werden dann die Wiesen in den frühen Morgenstunden, wenn es noch kühl genug ist, aus der Luft nach Wärmesignaturen abgesucht. So können Rehkitze sicher entdeckt werden und verbringen die Zeit, bis die Wiese gemäht ist, in „Schutzhaft“, d.h. in einer Box am Rand der Wiese. Nach der Mahd werden die Kitze dann wieder freigelassen und finden durch Rufen nach kurzer Zeit ihre Mutter wieder.
„Dass aus einem überschaubaren Schulprojekt eine derartig große und leistungsfähige Initiative entstehen könnte, hätte ich 2018, als wir noch am Anfang standen, niemals erwartet. Was hier in Lippe an ehrenamtlicher Arbeit von den bei Save the Kitz engagierten Schülerinnen und Schülern, Eltern, Jägern, Landwirten, Rentnern und sonstigen Ehrenamtlichen geleistet wird, ist deutschlandweit einzigartig. Hinter jedem einzelnen geretteten Rehkitz stehen viele Stunden unentgeltlicher Arbeit, von der Kommunikation mit den Landwirten über die Flugroutenprogrammierung hin zum eigentlichen Rettungseinsatz, der in der Regel zwischen 3 und 4 Uhr morgens beginnt.“, berichtet Daniel Muschiol, Initiator von „Save the Kitz“.
Inzwischen verfügt das auf 90 Ehrenamtliche angewachsene Projekt über 16 Drohnen, darunter 7 Eigenbauten, 6 privat bzw. aus Spenden finanzierte Drohnen, sowie 3 mit Bundesmitteln und durch die Kreisjägerschaft Lippe finanzierte Drohnen.
Insgesamt fanden die Teams von Save the Kitz in diesem Jahr 629 Rehkitze, von denen 319 sicher in Kisten verpackt während der Mahd am Rand der Fläche ausharrten. Die übrigen 310 Kitze wurden, da bereits zu mobil um sie noch fangen zu können, gezielt aus der zu mähenden Fläche gedrückt. Aber auch Gelege von Enten und Fasanen wurden entdeckt, sowie zahlreiche Junghasen und – erstmalig ein Steinkauz-Junges.
„Da sind wir mächtig stolz auf diese Ergebnisse, aber nicht nur auf die reinen Zahlen. Mit Freude beobachten wir das große Engagement der Schülerinnen und Schüler, die sich größtenteils in ihrer Freizeit mit der Drohnentechnologie befassen und in der Praxisarbeit bei Konstruktion und Bau der Drohnen tolle Ergebnisse erreichen. Man sieht, dass durch das Ziel „Rettung von Rehkitzen“ eine hohe Motivation entsteht. Und genau das brauchen wir, um auch mit diesem Projekt dafür zu sorgen, dass mehr junge Menschen eine Ausbildung oder ein Studium im MINT-Bereich beginnen. Beispiele dafür haben wir bei „Save the Kitz“ in jedem Fall. Wir haben sogar Auszubildende und Studierende, die nach dem Abitur am EKG im Projekt weiter tätig sind. Gerne unterstützen wir „Save the Kitz“ weiter mit Räumen, Technologie und finanziellen Mitteln“, teilt Thomas Mahlmann vom zdi-Zentrum Lippe.MINT mit.
Erfreulich ist, das Projekt zieht Kreise: Zwei weitere Schulprojekte dieser Art sind im Entstehen, davon eines im Nachbarkreis Höxter. Bei der Bildung weiterer Rettungsteams, z.B. in Steinheim, konnte „Save the Kitz“ bereits unterstützend zur Seite stehen. Weitere Informationen zum Projekt und eine Spendenmöglichkeit sind auf www.save-the-kitz.de zu finden.
Das Schülerprojekt wird gefördert mit Mitteln der Bundesagentur für Arbeit und des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW.
Weitere Förderer der Initiative „Save the Kitz“ sind: Kreis Lippe, Kreisjägerschaft Lippe, Umweltstiftung Lippe, Staff-Stiftung, Lippischer Heimatbund (LHB), Stiftung Lippische Landschaft, Rotary Club Lemgo-Sternberg, Heimatverein Voßheide, Tiere im Dorf e.V., Vereinigung ehemaliger Schülerinnen und Schüler des Engelbert-Kaempfer Gymnasiums Lemgo e.V., Lüttfeld-Berufskolleg, Lippe Tourismus&Marketing GmbH, betriko GmbH, Kirchhof Automation.
Zahlen und Fakten
- In der Saison 2022 wurden zwischen dem 29.04. und 28.06. an 47 Tagen Einsätze geflogen.
- Durchschnittlich waren pro Einsatztag 5-6 Teams parallel im Einsatz.
- Die Einsätze wurden von 36 verschiedenen Piloten geleitet, die in der Regel von 1-3 Helfern begleitet wurden.
- Insgesamt fanden 538 Einsätze für 186 verschiedene Landwirte statt. Dabei wurden 1.702 Wiesen mit Flächen zwischen 0,5 und 26 Hektar abgesucht
- In der Summe wurden 3.282 Hektar abgesucht, das entspricht einer Fläche von 4.597 Fußballfeldern bzw. gut 40 % der insgesamt in Lippe gemähten Fläche.
- Der erfolgreichste Morgen war der 11. Juni, an dem insgesamt 66 Kitze gefunden wurden, von denen 34 gesichert werden konnten.
- Die Drohnen von Save the Kitz waren insgesamt 226 Stunden in der Luft und legten dabei eine Strecke von 2.224 km zurück. Dies entspricht der Entfernung zwischen Kopenhagen und Algier.