Die Uranmine Jabiluka und der Widerstand der Aborigines
Das Atomzeitalter ist gerade mal fünfeinhalb Jahrzehnte alt – ein winziger Bruchteil der Zeit, auf die viele Kulturen vor allem indigener, eingeborener Völker zurückblicken können. Doch gerade Ureinwohner sind weltweit die ersten Opfer und Hauptleidtragenden des nuklearen Kolonialismus – von Atombombentests, etwa auf dem Land australischer Aborigines oder bei den Western Shoshone in Nevada, bis zum Abbau von Uran. Rund 70 Prozent der weltweiten Uranvorkommen liegen unter dem Land von Ureinwohner-Völkern.
Zu den markanten Orten auf einer nuklearen Weltkarte müssen neben Hiroshima und Nagasaki, Harrisburg und Tschernobyl, Lop Nor und Moruroa, Gorleben und Ahaus auch Namen treten, die nur wenigen bekannt sind: Uranminen wie Key Lake, Church Rock, Olympic Dam oder Jadugudu. Und Jabiluka, das in den letzten Jahren zu einem Synonym für den weltweiten Konflikt zwischen der Nuklearindustrie auf der einen Seite und den Rechten indigener Völker auf der anderen Seite geworden ist.
Diese neue, im Bau befindliche Mine liegt im australischen Northern Territory und ist umgeben vom weltberühmten Kakadu-Nationalpark. In unmittelbarer Nachbarschaft produziert bereits seit Anfang der achtziger Jahre die Ranger-Mine Uran. Die Region verfügt über eines der größten Uranvorkommen der Welt. Die momentane australi-sche Regierung, als Hardliner in Sachen Atompolitik bekannt, unterstützt die Position der Betreibergesellschaft Energy Resources of Australia (ERA), deren Muttergesellschaft Northern Ltd. seit kurzer Zeit im Besitz des berüchtigten britischen Bergbaumultis Rio Tinto ist. ERA setzt auf Verträge, die mit den traditionellen Eignern des Landes, den Mirrar-Gundjehmi, geschlossen wurden und die der Firma die Ausbeutung der Uranvorkommen erlauben.
Doch die Mirrar widersprechen vehement. Die Clan-Älteste Yvonne Margarula, die von ihrem Vater die Aufgabe als „Treuhänderin des Landes“ übernommen hatte, argumentiert, dass die Verträge nur unter massivem Druck der Verhandlungsführer auf Regierungsseite zustande gekommen seien. Sie will eine Revision der Verträge. Den Mirrar geht es um ihr Land und damit um das Überleben ihrer weltweit einzigartigen Kultur. Die Mirrar-Gundjehmi sind die letzten Vertreter der ältesten bisher bekannten ununterbrochenen Siedlungsgeschichte der Erde. Seit rund 40.000 Jahren sind sie in dieser Region ansässig. Die Ureinwohner unterhalten eine sehr enge spirituelle Beziehung zu ihrem Land, das somit die Grundlage nicht nur ihrer physischen, sondern auch ihrer kulturellen Existenz als Volk bildet. Eine Zerstörung des Landes durch Uranbergbau ist untrennbar verbunden mit einer Zerstörung der Identität der Gemeinschaft und des Individuums. Denn indigene Völker verstehen sich als Hüter der Erde und leben traditionell im Einklang mit den Gesetzen der Natur.
Wegen seiner landschaftlichen und kulturellen Bedeutung – die zahlreichen, bis zu 20.000 Jahre alten Felsbildstellen der Aborigines zählen zu den wichtigsten Kulturdenkmälern der Erde – ist der Kakadu-Nationalpark vom Weltkulturerbe-Komitee der Unesco (WHC) in die Liste des Welterbes der Menschheit aufgenommen worden. Die Mirrar sowie Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen wollen den Park wegen des Uranabbaus auf die „Rote Liste“ des Welterbes in Gefahr setzen lassen. Doch bisher gelang es der australischen Regierung immer wieder, unter anderem durch eine dollarschwere verdeckte Kampagne, eine solche imageschädigende Listung zu verhindern.
Ihre Kultur und die Natur, von der sie leben, sehen die Mirrar durch den Uranabbau gefährdet. Denn bereits am Anfang der nuklearen Kette, beim Abbau von Uranerz, entstehen tödliche Gefahren: Zahlreiche radioaktive Stoffe, darunter Radongas, werden freigesetzt; auch nichtradioaktive, giftige Stoffe gelangen in die Umwelt. Der Ab-raum – weltweit mehr als eine Milliarde Tonnen – enthält noch bis zu 85 Prozent der ursprünglichen Radioaktivität. Der Wind verweht strahlende Partikel in alle Richtungen, verseuchtes Wasser sickert ins Erdreich und gelangt in die Gewässersysteme. Bei den Rückhaltebecken für radioaktive Schlämme treten immer wieder Dammbrü-che auf.
Zwar haben die Mirrar inzwischen alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Doch sie geben den Kampf gegen Jabiluka nicht auf. Dabei erfahren sie, etwa bei Blockaden des Minengeländes und Demonstrationen, viel Unterstützung. Rund zwei Drittel der Australier haben sich in Umfragen gegen den Uranabbau im Kakadu-Nationalpark ausgesprochen. Auch bei der internationalen Vernetzung ihres Widerstandes sind die Mirrar erfolgreich. Weltweite Presseberichterstattung sowie Preise für die Mirrar (unter anderem der renommierte Goldman Award und der Nuclear Free Future Award) verschaffen dem Aborigines-Clan große Aufmerksamkeit.
Ihr Anliegen ist es unter anderem, auf die internationale Dimension des Falles Jabiluka hinzuweisen. Das war mit ein Grund für ihre Europareise im August 1998, bei der die Vertreterinnen der Mirrar unter anderem Orte des Widerstands gegen die hiesige Nuklearindustrie besuchten. Ahaus und Gorleben, Kakadu und Jabiluka – das sind, wenn auch durch Tausende Kilometer getrennt, für die Ureinwohner Stationen der gleichen nuklearen Kette. Und die Debatte um kontaminierte Castoren sowie der Protest gegen den Transport abgebrannter Brennelemente hierzulande verweisen auf einen Atomkreislauf, der in Australien, auf dem Land indigener Völker, seinen Anfang nimmt und hier bei uns sein (vorläufiges) Ende findet.